Nur vorwärts kann ich mein Leben gestalten, aber es kann mir dabei helfen immer wieder einmal zurück zu schauen. Denn ständig entdecke ich neue Zusammenhänge, die wie rote Fäden oder wie leuchtende goldene Fäden das Leben durchziehen und manchmal geheimnisvoll etwas vom kostbaren Teppich meines Lebens auf der Vorderseite ahnen lassen, den ich normalerweise nur als Fadengewirr von hinten fragend anschauen kann.
Als ein besonders langer und wichtiger Faden ist mir in den letzten Tagen meines fast zweijährigen Aufenthaltes in Italien die Geschichte der „gefalteten Hände“ zugefallen, die mein ganzes Leben durchzieht. Als ich still auf dem Turm der Mauer unseres Klosters saß, vor mir die kleine Madonna mit gefalteten Händen, im Hintergrund die herrliche, freie Weite der Toskana und darüber der strahlend blaue Sommerhimmel, da hörte ich in meinem Inneren deutlich die Aufforderung: „schreib’s doch auf!“ Denn schließlich ist es eine Geschichte, die ein paar Wochen früher bei einem Yoga-Kurs, gerade an diesem wunderbaren Platz, in einem einzigen Augenblick, ihre staunenswerte Schönheit entfaltete.
Immer nämlich schwang bei “Namasté“, bei den vor der Brust „gefalteten Händen“, noch etwas Trübes in mir mit - wenn auch nur ganz leise und deshalb leicht zu verdrängen. Dieser indische Gruß „Namasté“, „das Göttliche in mir grüßt das Göttliche in dir“, hat mich lange schon tief berührt, jahrelang, ja sogar jahrzehntelang mein Innerstes immer zum Leuchten gebracht, vor allem wenn ich ihn durch die vertraute Stimme der Yogaleiterin hörte, und mir dabei ihre strahlenden Augen „göttliches Ansehen“ versicherten. Es war Balsam, heilsam für Leib und Seele. Und so konnte sich jetzt an diesem Platz der volle Duft dessen entfalten, was von Anfang an „göttlich“ in mir eingepflanzt, aber mit der Zeit fast verkümmert war.
Es war wohl schon sehr bald der tiefe Wunsch meiner Mutter, dass sie mich gerne als Priester am Altar gesehen hätte. Und sie tat alles, um mich dafür auch bald zu bereiten. Sie betete nicht nur viel, um den Herrn selbst auf diesen ihren jüngsten Sohn aufmerksam zu machen, sondern sie formte diesen auch so, dass er den - ihrer Meinung nach - entsprechenden Anforderungen Genüge leisten könne. „Brav“ und „fromm“ musste er deshalb vor allem sein, damit ihm die ewige Liebe Gottes versichert werden konnte. Und äußeres Zeichen für den um diese Gnade Flehenden waren die andächtig vor der Brust gefalteten Hände. Soweit ich mich in meine Kindheit zurück erinnern kann, habe ich in dieser Haltung gebetet, auch wenn meine älteren Geschwister längst schon verschiedene andere Variationen bevorzugten. Als ich dann auch als Ministrant am Altar dienen durfte, da wurde von Mutter die Würde dieser meiner Haltung besonders gelobt oder eben auch getadelt. Am großen Beispiel der „Mutter Gottes“ sollte ich mich für den ersehnten priesterlichen Dienst einüben. Wie wichtig meiner Mutter dabei gerade die gefalteten Hände waren, das hat sich bei mir auch dadurch eingeprägt, dass sie einmal sogar ihren Mann, unseren Vater, tadelte, weil er vor dem Kommunionempfang gar sehr schlampig die Hände falten würde. Dabei war es für ihn kaum möglich, diese abgearbeiteten, rauen und schwieligen Hände entsprechend zu formen. Und gerade diese strahlen in mir auch heute noch viel „Göttliches“ aus, egal wie sie geformt waren, weil sie einfach sein hartes Leben widerspiegelten. Als ich dann später mein theologisches Wissen an der Uni vertiefen konnte, da kamen auch die ersten Widerstände gegen meine Erziehung hoch. Mit großem Schwung warf ich alle erlebte Marienverehrung von Bord, die ich allerdings viele Jahre später mühsam in neuer und veränderter Form zurück erbettelte. Mit dem „Brav-sein“ - was auch immer damit gemeint war und ist - tu ich mir aber auch heute noch schwer, und die „gefalteten Hände“ tauchten dann eben später wieder auf bei den Yogakursen, die mir eine neue, veränderte Haltung zum Tempel meines Leibes lehrten. Verständlich also, dass da immer wieder etwas von meiner Kindheit in mir vorspitzte, das sich nach Versöhnung sehnte. Und wie alles Wichtige im Leben, so wurde es mir geschenkt und ist einfach nur an mir geschehen, völlig unerwartet, ganz selbstverständlich und leicht – beim Yogakurs in San Gimignano. Ich stellte der Gruppe die Fresken von dem berühmten Künstler Benozzo Gozzoli in unserer Kirche vor. Wie oft schon hatte ich sie vorher angeschaut und doch nie wahrgenommen, dass auch der Schutzheilige Sebastian in der „Namasté-haltung“ steht, bis mich die Teilnehmer darauf hinwiesen. Und da nun der Blick dafür einmal geschärft war, erwähnt die Yogaleiterin am nächsten morgen auch die Haltung der kleinen, schlichten Marienfigur auf dem Platz unseres morgendlichen Rituals, und mir fällt es wie Schuppen von den Augen. Doch immer noch nicht genug: Als ich ein wenig später durch den Klosterkreuzgang gehe, da fällt mein Blick geradewegs auf eine Alabaster-Madonna, die wohl schon lange versteckt und verstaubt in der Ecke stand, mit den gleichen gefalteten Händen. Ich befreie sie sofort aus diesem Versteck, stelle sie auf die Mauer, bewusst als Hintergrund für unsere Yogaleiterin. Diese reinigt sie fein säuberlich vom Staub der Jahrzehnte. Und als am nächsten Tag die ersten Sonnenstrahlen sie einhüllen, da sind alle Teilnehmer des Kurses geblendet von der Schönheit dieser leuchtenden und durchscheinenden Maria, sodass das letzte Eis weg schmilzt, das ich scheu über meine Kindheitserlebnisse habe entstehen lassen, und ich am liebsten Tränen der Freude und des Berührt-seins hätte vergießen mögen. Welch ein langer Weg war es, bis Maria - von allem Staub meiner Seele gereinigt - hell und rein in mir wieder aufleuchten durfte…
Immer noch nicht genug: Anfang Juli kam ich also nach Fährbrück, und wer empfängt mich da? In einer kleinen Grotte am Ortseingang Maria in der Namasté-Haltung und in der Wallfahrtskirche dort, wo ich als Bub meine Nöte und Sorgen ausgeweint habe, sie mit offenen Armen und Händen. Und kurze Zeit später werde ich auf unserer Homepage „augustinisch-unterwegs.de“ mit „Namasté in Fährbrück“ Willkommen geheißen.
Unglaublich! Danke!!
So lange habe ich sie verdrängt in mir, die urchristliche Grundhaltung, von meiner Mutter schon eingepflanzt. Ich habe sie aus Opposition oder Trotz vergessen und doch wieder neu und würdevoller noch entdeckt, diese aussagekräftige, menschlich-göttliche Haltung über alle Religionen hinweg.
Wie schön, wenn einem selbst einmal wieder ein Licht aufgeht, eine Flamme, ein Feuer, wo lange nur „glimmender Docht“ war, der aber „Gott sei Dank“ niemals in uns ganz erlischt.
Dank meiner irdischen und der himmlischen Mutter
Dank meiner Yogaleiterin Adelinde
P. Christoph OSA