Hl. Augustinus u Migration     P. Lukas Fä 18

Lesung: Dtn 10,17-22 Evangelium: Joh

Predigt:  Liebe Schwestern, liebe Brüder,

Lesen, so sagt man, bildet. und es ist gut, sich auch neuen Büchern über den hl. Augustinus zu widmen. Da kann man dann seine bisherigen Haltungen und Meinungen überprüfen, kann sich ärgern, wenn jemand was schreibt, was man so ganz anders sieht, kann sich freuen, wenn bestätigt wird, was man bisher nur vermutet hat und man kann auch noch Neues erfahren und lernen. Mir zumindest ist es in den letzten Wochen und Monaten so gegangen. Vor allem in Büchern, die sich weniger mit dem Theologen oder Philosophen Augustinus beschäftigt haben, habe ich etwas über das Leben und das Umfeld des Heiligen erfahren.    
   Oft sehen wir Augustinus abgebildet wie er in tiefer Meditation oder in hohen Überlegungen, ausgerichtet auf Gottes Geistkraft, über die schweren Fragen der Theologie an seinem Studierpult nachsinnt. Das könnte dazu verführen, dass wir in ihm einen Mann sehen, der in Muse, Ausgeglichenheit und Ruhe sich mit den Fragen nach Gott und Gottes Wirken in uns und unserer Welt beschäftigt. unbenommen, das hat er getan. Doch das Umfeld dafür war bei weitem nicht ein Hort der Ruhe, der zu Gelassenheit und Muse Anlass gegeben hätte. So sehr sich Augustinus in den letzten 20 bis 25 Jahren seines Lebens mit den Tiefen und Höhen der Theologie beschäftigt hat und dazu Werke schrieb, die bis heute den Leserinnen und Lesern Impulse geben bzw. sie zum Nachdenken bringen. So sehr war er in das Zeitgeschehen, die Politik eingebunden und so manches werk - wie zum Beispiel der Gottesstaat - war davon auch beeinflusst oder angeregt.  
   Die Zeiten und die Zeitumstände, die Politik und das, was die Menschenbeschäftigte, waren so ganz anders als unsere gegenwärtigen Fragen und Probleme. Gleichzeitig, waren sie sehr ähnlich und den unseren gar nicht so fremd. Mit einem Schlagwort zusammengefasst könnte ich sagen, es ging um Migration. Und tiefer und an die Wurzel gefasst, also radikal, ging es um Verlust der Heimat, ging es um Flucht und darum, wie und wo man als Fremde und Fremder eine Bleibe, ein Zuhause, vielleicht wieder Heimat finden könnte. Nur die Richtung der Bewegung war eine andere. Die Menschen strömten von Germanien nach Italien und Spanien und von dort nach Nordafrika. Alles das, was da an Bewegung und Verschiebung, Verdrängung, Flucht und Angst war, wird unter dem Namen Völkerwanderung zusammengefasst. Und wenn wir hören, dass Augustinus gerade in dem Jahr, ja in den Wochen in Hippo verstarb, als die Vandalen die Stadt eroberten, dann ist das keine Fußnote zu seinem Tod, dann ist das klar und deutlich die Aussage, dass diese riesige Verschiebung von Menschen über Länder und Kontinente endgültig in seiner Stadt mit Krieg und EIend angekommen war.  
   Diese grundlegenden Veränderungen der Gesellschaft und des Zusammenlebens zu Beginn des 5. Jahrhunderts im römischen Reich begann nicht erst mit der Plünderung Roms im Jahr 510 durch den arianischen Christen Alarich und seine Westgoten. Schon vorher war spürbar und auch in den Bevölkerung Nordafrikas zum erleben, dass die Welt, wie man sie kannte, in Aufruhr war. Für den Bischof und Seelsorger, für den Hirten und das kirchliche Oberhaupt seiner Stadt, für Augustinus war es eine Quelle der Auseinander-setzung und der Sorge. Seit Beginn des 5. Jahrhunderts kamen immer wieder Flüchtende, bisweilen gar Flüchtlingsströme, nach Nordafrika. Durch die heranrückenden germani-schen Stämme der Ost- und Westgoten, wie auch der Vandalen wurden immer mehr Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Zunächst waren das heutige Spanien und Italien die Ziele. Doch diese Gebiete waren ja besiedelt. und wie alle Flüchtenden so trugen auch damals die Fremden nicht unbedingt das Schicksal, von allen herzlich will-kommenen zu sein. Nordafrika war die Kornkammer des römischen Reiches. Dort war gut leben – so dachten anscheinend viele. Und das um so mehr ab dem Jahr 408, je näher die Germanen dem römischen Zentralreich kamen. Ab dieser Zeit ergriffen nicht nur die Wohlhabenden die Flucht, die sich zusammen mit ihrem Hab und Gut übers Mittelmeer retten wollten. Auch jene, die kaum mehr als ihr Leben zu verlieren hatten, machten sich auf und versuchten, sich ins anscheinend sichere und wohlhabende Nordafrika zu retten. Die Nordafrikanischen Provinzen mussten mit den vielen Fremden, die jetzt kamen umgehen.  
   Augustinus, so habe ich gelesen, hatte - wie auch viele andere nordafrikanischen Bischöfe - seiner Gemeinde die Werke der Nächstenliebe sehr ans Herz gelegt. Umherziehende Barbaren wie auch die Circumcellionen - vergleichbar mit Guerilla-Truppen - wussten das als Einkommensquelle zu nutzen, denn die Christen kauften ihre Gefangenen immer wieder frei. Den Sklaven, den Armen, den Bedürftigen und Notleidenden und auch den Fremden und Heimatlosen in der Gemeinde sollte Hilfe zuteil werden.  
   Augustinus erfuhr von der Flüchtlingswelle, die durch die Plünderung Roms ausgelöst worden war, während eines Genesungsaufenthaltes in der Nähe von Hippo. Augustinus war vorher in Karthago gewesen und schon längere zeitseiner Bischofsstadt fern geblieben. Was in der Welt um ihn herum passierte, bekam er schon mit. Vor allem aber beschwerten sich einige Gemeindemitglieder aus Hippo, dass er so lange abwesend sei und zum anderen kamen die Fragen und Klagen, wie denn mit alle dem umzugehen sei, was da in der Stadt geschieht. Die vielen Fremden, die Herausforderungen und Anforderungen, die sich daraus ergeben. In seinem Brief 122 antwortet Augustinus. Er ermahnt seine Gemeinde, die christliche Haltung nicht zu verlieren und angesichts der sich verändernden Welt, angesichts des Zerfalls der Welt, die Barmherzigkeit nicht zu verlieren. Und er zitiert den Brief an die Philipper: „Der Herr ist nahe, seid um nichts besorgt.“ Und er fordert sie angesichts der Ereignisse auf, dass sie sogar eifriger werden sollen in guten Werken.  
   Ja, Augustinus lebte die letzten Jahre seines Lebens in unruhigen Zeiten. Ausgelöst durch die Plünderung Roms, so sehen es einige, die sich mit Leben und Werk unseres Ordensvaters beschäftigen, und durch die Folgen dieses erschütternden Ereignisses, beginnt er sein großes Werk De civitate dei – vom Gottesstaat. Welche Weltordnungen er dort theologisch darlegt und das Zusammenspiel von irdischer und ewiger Welt darstellt, das sei einem anderen zu einer anderen Zeit anempfohlen zu erklären. Was mir in den letzten Wochen und Monaten durch die Lektüre den Vater Augustinus näher gebracht hat, ist seine Konfrontation mit den drängenden gesellschaftlichen Fragen seiner Zeit. Es ist sicherlich nicht möglich, einfach so direkt die Ermahnungen des Heiligen auf unsere Zeit zu übertragen - vor allem angesichts von Migration und der Suche von Menschen nach Sicherheit, Geborgenheit und einem gesicherten Auskommen. Was mir möglich scheint, ist aber, dass er seine Haltung, die dahinter steht, uns heute ruhig noch ins unruhige Herz legen darf, damit wir aufgerüttelt werden, berührt und angefasst von der Not, dem Leid und der Sehnsucht von Menschen. Lasst nicht nach. Erweist euch als eine offene Gesellschaft, als eine offene Kirche. Seid wachen Auges dafür, wenn Unrecht zu geschehen droht. Lass euch nicht verunsichern, es ist gut, anderen zu helfen, ihnen beizustehen und sie zu stützen. Und es ist gut, ja es ist wichtig, gut zu sein.  
   Ich gebe zu, ich selbst hätte ein für mich in den letzten Wochen wichtig gewordenen Stück Augustinus nie gefunden, hätte ich nicht Unterstützung von Prof. Müller aus den Zentrum für Augustinusforschung hier in Würzburg erhalten. Das kleine Stückchen Augustinus, das er mir sandte, will ich ans Ende stellen. Es ist aus den Quaestiones, einer Schrift, in der Augustinus Einzelfragen der Exegese behandelt. In der Quaestio 5, 36 deutet Augustinus die Verse 16 und 17 des 23 Kapitels des Deuteronomium. Die Einheitsübersetzung übersetzt so:    16 Du sollst einen fremden Untertan, der vor seinem Herrn bei dir Schutz sucht, seinem Herrn nicht ausliefern. 17 Bei dir soll er wohnen dürfen, in deiner Mitte, in einem Ort, den er sich in einem deiner Stadtbereiche auswählt, wo es ihm gefällt. Du sollst ihn nicht ausbeuten.
Dazu Augustinus: Das meint nicht, dass der Herr den Untertan zu dir geschickt und ihn dir anempfohlen hat, sondern dass dieser Untertan vor jenem Herrscher geflohen ist. Daher wird in diesem Bibelvers auch nicht verboten, dass du die Geflohenen aufnimmst. Vielmehr sagt er, es ist verboten, dass du sie zurückschickst.
   Diese Bibelstelle ist aber - wenn wir sie richtig verstehen - nicht in Bezug auf einen einzelnen Herrscher und eine Herrschaft hin gesprochen, sondern in Bezug auf einen Stamm und ein Volk. Es ist also damit verboten, einen, der von einem Volk zu einem anderen Volk geflohen ist, zu dessen Herrscher zurückzuschicken. Denn einen Fremden beschützte auch der König von Geth, als sich einst David zu ihm flüchtete, weg von seinem eigenen Herrn Saul. Das wird in dem Bibelvers besonders deutlich, wenn er über den Geflüchteten selbst sagt: „Er wird bei euch an jenem Ort wohnen und leben, an dem es ihm gefällt" (Deuteronomium 23,17).  
   Was könnte ich dem hl. Augustinus da noch hinzufügen?  
   
   
   Fürbitten:    
   Barmherziger und liebender Gott, zu dir kommen wir mit unserer Sehnsucht nach Gerechtigkeit, Frieden und Sicherheit für alle Menschen auf der Erde. Auf die Fürsprache des hl. Augustinus und im Vertrauen auf deine Hilfe bitten wir:  
   Für unseren Papst Franziskus, die Bischöfe und alle Männer und Frauen, die sich um die Weitergabe des Glaubens mühen:
Lass sie in ihrem Handeln deine Weisheit, Barmherzigkeit und Liebe sichtbar machen.
  
   Für die Menschen, die Verantwortung in Politik und Gesellschaft übernehmen:  Schenke ihnen Zuversicht, damit sie sich mit Klarheit, Kraft und Entschlossenheit für die Menschenwürde und das Wohl aller Menschen einsetzen.  
   Für alle Menschen, die aus ihrer Heimat flüchten müssen, weil sie keine Zukunft mehr sehen:  Führe du sie und sei ihnen nahe, damit sie neu Fuß fassen und Heimat finden.  
   Für alle Menschen, die nicht mehr weiter wissen, die Angst haben vor der Zukunft und sich sorgen um ihre Familie und Landsleute:  Lass sie den Mut nicht verlieren und Gleichgesinnte finden, die sie stärken und ihnen zu Hilfe kommen.  
   Für die Schwestern und Brüder im Augustinerorden und alle Ordensleute:  schenke ihnen wache Sinne und mache sie mutig in der Verkündigung deiner Botschaft.  
   Guter Gott, du bist in unserer Mitte und immer für uns da. Du nimmst teil an unserem Leben. Mit Jesus Christus, unserem Bruder, preisen wir dich jetzt und alle Zeit. Amen.